Luftbeben

Für Peter Sloterdijk beginnt die Moderne in jenem Moment in Ypern (1. Weltkrieg, 1915), als der Mensch seine Umwelt aus der Perspektive ihrer Zerstörbarkeit in mehrfacher Hinsicht neu erblickt und verstanden hat. Er beschreibt die Modernen als einen Angriff auf alles, was wir für selbstverständlich oder gegeben halten. Allen voran der Terror, der von Menschen ausgeht und das Territorium durch ›atmoterroristische‹ Interventionen unbewohnbar macht. Interessant ist dieses Buch aus meiner Sicht, weil es in seiner eigenen Drastik herausarbeitet, in welchem unreflektierten Eifer wir das Zubehör dafür entwickeln und gestalten. Im Text heisst es: „Wenn ich in einem einzigen Satz und mit möglichst wenigen Worten sagen soll, was das 20. Jahrhundert neben seinen unvergleichlichen Leistungen in der Kunst an Einzigartigem und Unvergleichlichem in die Zivilisationsgeschichte eingebracht hat, so würde die Antwort auf drei Kriterien hinauslaufen. Wer die Originalität der Epoche erfassen will, muss sich mit der Praxis des Terrorismus, dem Konzept des Produktdesigns und dem Umweltdenken auseinandersetzen. Mit dem ersten wurde die Interaktion mit dem Feind auf eine postmilitaristische Grundlage gestellt; mit dem zweiten wurde der Funktionalismus in die Lage versetzt, sich wieder mit der Welt der Wahrnehmung zu verbinden; und mit dem dritten wurden die Phänomene des Lebens und des Wissens tiefer als je zuvor miteinander verknüpft. Alle drei markieren zusammengenommen eine Beschleunigung der „Explikation“. Mit anderen Worten: die Enthüllung und Einbeziehung der Hintergrundgegebenheiten, die den manifesten Operationen zugrunde liegen.

Sloterdijk, Peter (2009). Terror from the air. Los Angeles: Semiotext(e)
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