Der Dritte Weg
In ganz Europa nimmt die Zahl der privaten Bildungsanbieter stetig zu und damit auch die Zahl der Studien- oder Ausbildungsangebote für Design- und Medienberufe. Unternehmen wie »Galileo Global Education« (Stand 2021: 45 Schulen in 13 Ländern mit über 120.000 Studierenden) verändern den Bildungsmarkt und damit die Bildungslandschaft nachhaltig (GGE gehört mehrheitlich zum L’Oréal-Family Office {Tethys Invest} sowie dem kanadischen Pensionsfonds CPP Investments). Zur Erinnerung: Der französische L’Oreal-Konzern ist der weltweit größte Kosmetikhersteller (Slogan: „Schönheit erschaffen, die die Welt voranbringt. Weil ich es wert bin.“).
Hier entsteht ein sehr schöner Handlungszusammenhang — zwischen Akteuren der Konsum- und Luxusgüterindustrie und den Design- und Medienberufen. Die einen stellen die Notwendigkeit des anderen nicht in Frage. Ein Wirkungszusammenhang entsteht — eine Art Gestaltkreis — ein hermetisches, sich selbst stabilisierendes System. Die produzierende Seite bildet junge Konsument*innen darin aus, für sich selbst und die eigenen Follower*innen redundante Konsumwelten zu erschaffen und zu bewerben. Das klingt alles sehr logisch, wenngleich es ein wenig an die Jungfernzeugung (Parthogenese*) erinnert.
Wird nicht die Ausbildung (als Ware gedacht) erst damit zu einer Form von Bildung (allg.), wenn ein offener und differenzierter Umgang mit allen Optionen eröffnet wird. Wer aber sollte in der Zivilisation angesichts ihrer vielfältigen Herausforderungen diese Offenheit garantieren, wenn nicht eine unabhängige, dritte Instanz — etwas, das stört? Die Störung von dritter Seite ist notwendig und dieses Potential bieten immer noch die öffentlich finanzierten Hochschulen. Jetzt müssen wir nur noch akzeptieren, dass diese Störungen (C) äußerst produktiv sein können (Zunahme der Varietät) und dass jede Anpassung an die Interessen der Anbieterseite oder der Nachfrageseite zu höchst Überflüssigem führt (Zunahme an Redundanz).
Für die Gesellschaft als Ganzes ist es die effektivste Lösung, läßt sie ihre Hochschulmenschen in aller gebotenen Freiheit gewähren (z. B. über Globalbudgets). Junge Menschen aber sind schlecht beraten, wenn sie den affirmativen und vermeintlich sicheren Ausbildungsgang dem ›Abenteuer Bildung‹ vorziehen.
Der französische Biophysiker Henri Atlan beschrieb es 1974 so: „Beim nicht-direktiven Lernen lassen sich zwei Eigenschaften, Folgen des Order from noise-Prinzips, ausmachen: Die erste besteht darin, dass der Lernprozess sich als eine Schöpfung von patterns durch Redundanzminderung begreifen lässt, wobei Spezifizierungen von besonderen patterns andere ausschließen. Doch was nimmt zu und was vermindert sich beim Lernvorgang? Ich glaube, dass man zumindest teilweise eine Antwort darauf bekommt, wenn man sagt, dass es sich bei dem, was beim Lernen zunimmt, um die Differenzierung handelt, das heißt, die Spezifizierung von erlernten patterns, und das impliziert in der Folge eine Zunahme der Varietät, der Heterogenität; im Gegenzug ist das, was sich vermindert, die Redundanz des gesamten Systems, also dessen Undifferenziertheit.“
Lesestoff · Foerster, Heinz von (1959). On Self-Organizing Systems and Their Environments. In: Yovits, M.C. & S. Cameron, S. (Hrsgg.) (1960). Self-Organizing Systems. London: Pergamon Press. S. 31–50. · Atlan, Henri (1974 / 2015). Das Order from noise-Prinzip, das nicht-direktive Lernen und der Traum. In: Trivium [Online], 20 | 2015. · Piaget, Jean (1977). From noise to order: The psychological development of knowledge and phenocopy in biology. Urban Rev 8. S. 209–218. · Derrida, Jacques (2001). Die unbedingte Universität. Frankfurt am Main: Suhrkamp. · Stolzenberg, Jürgen& Ulrichs, Lars-Thade (Hrsgg.) (2010). Bildung als Kunst · Fichte, Schiller, Humboldt, Nietzsche. Berlin: Walter de Gruyter. · Münch, Richard (2011). Akademischer Kapitalismus. Über die politische Ökonomie der Hochschulreform. Frankfurt am Main: Suhrkamp.