Perfektibilität | Korruptibilität

Wir denken nach über die Grenzen der menschlichen Selbstwirksamkeit und damit die Grenzen zwischen dem, was ich als Individuum tun kann (»Perfektibilität« bei Jean-Jacques Rousseau) und dem, was mir erlaubt. ist. Ich muß nicht nur mich selbst (und damit meine oder unsere Geschichte) vervollkommnen, ich muß gleichzeitig auch meine Lebenswirklichkeit vervollkommnen und damit natürlich auch jene strukturellen und technischen Bedingungen, die meine (unsere) Lebenswelt sind. Das Projekt wird schließlich undurchführbar, wenn ich für die eigene Vervollkommnung (Tugend) eine unvollkommene Technik in Anspruch nehme oder unvollkommene Strukturen nutze, die es eigentlich erst zu verbessern gilt. Ich verhalte mich also korrupt — ob ich will oder nicht (zum Begriff der »Korruptibilität«, s. Georg Lichtenberg, Über Physiognomik). Aus diesem Dilemma gibt es — praktisch — kein Entrinnen. Das Design muß sich mit dem kulturgeschichtlichen Begriff der »Perfektibilität« und den eigenen Beiträgen zur Frage einer »faktischen« Vervollkommnung beschäftigen. Wollen wir tatsächlich eine zunehmende Erleichterung der Lebensbedingungen erkennen, wollen wir von einer Vervollkommnung der Kultur sprechen — dann sprechen wir doch über ein τέλος? Möglicherweise würden wir eine viel zu empfindsame Instanz vor diesem Streben schützen, würden wir an den Universitäten keine »Kreativen« mehr ausbilden, sondern Kreativitätszusammenhänge.

Englisch

We think about the limits of human self-efficacy and thus the limits between what I can do as an individual (“perfectibility” by Jean-Jacques Rousseau) and what I am allowed to do. I must not only perfect myself (and thus my or our history), I must at the same time also perfect my reality of life and, of course, the structural and technical conditions that are my (our) world. The project finally becomes unfeasible if I use an imperfect technique for my own perfection (virtue) or use imperfect structures, which actually need to be improved. I therefore behave corruptly – whether I like it or not (on the concept of “corruptibility”, see Georg Lichtenberg, Über Physiognomik). There is – practically – no escape from this dilemma. Design must deal with the cultural-historical concept of “perfectibility” and its own contributions to the question of “factual” perfection. If we really want to recognize an increasing easing of the living conditions, if we want to speak of a perfection of culture – then we are talking about a τέλος? Possibly we would eliminate a highly sensitive instance in our striving for perfection if we were no longer to educate “creative people” at universities, but creative contexts.

Image: Maurice Quentin de La Tour, Jean-Jacques Rousseau

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