Ideating Society’s New Operating System

Bild oben: Prof. Dr. em. Herbert Burkert, Prof. Dr. Urs Gasser (Rektor, Hochschule für Politik, München), Gerhard M. Buurman

In der vergangenen Woche (25. – 27.11.2023) fand im Kloster Raitenhaslach das erste »Festival der Ideen« der TU München statt. Entwickelt und (großartig) organisiert wurde das Treffen von Prof. Dr. Urs Gasser (Hochschule für Politik, München) und seinem Team. Zu diesem Anlass haben die Organisatoren einen Gedanken skizziert, der die Gespräche in den historischen Räumlichkeiten der ehemaligen Zisterzienser-Abtei Raitenhaslach initiieren oder gar leiten sollte. Die Einladung an die Teilnehmer:innen war überschrieben mit dem Ziel „Ideating Society’s New Operating System“. Angesichts des »technisch Möglichen« sollten wir gemeinsam Ideen für das »gesellschaftlich Notwendige« entwickeln. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ging es also um nicht weniger, als um Fragen der Regierungskunst oder gar um »Kybernetik«. Historisch ist die Wahl dieses Begriffes nicht ganz abwegig, war es doch der Physiker André-Marie Ampère, der vor 180 Jahren die allgemeine Steuerungskunst (»Cybernétique«) als Aufgabe der Politik beschrieb (L’art de gouverner en général). 

Natürlich war der Begriff »Operating System« kontrovers, der semantische Überschuss gewaltig. In den ersten Vorträgen und Gesprächen wurde erwartungsgemäß die Frage aufgeworfen, ob wir die »Conditio Humana« derart — wenn auch nur metaphorisch — in den Grenzen des Technischen verhandeln dürfen. Es war die Auseinandersetzung zwischen dem, was in der politischen Literatur als »Human-Centered Government« bezeichnet wird und jenen Positionen, die unter dem Stichwort »Algorithmic Government« verhandelt werden. Entsprechend oszillierte die Stimmung zwischen »Vertrauen in uns Menschen« und »Kontrolle über das Fremde in uns«. Ich würde sagen — dieses war ein tragendes, wenn auch hintergründiges Gedankenschema der folgenden drei Tage. 

Die Teilnehmerschaft aus den Bereichen Sozial,- Rechts- und Politikwissenschaft, Diplomatie, Philosophie, Robotik, Social Software, Quantenphysik, Leadership, Artificial Intelligence, Design und Kunst befruchtete diese Debatte so sachverständig wie erfahren. In den folgenden Plenarsitzungen und Sessions ging es dann nicht um die Technologien selbst, vielmehr ging es um die Frage ihrer möglichen Tiefenwirkung auf das Ganze der Realität — oder eben um das transzendentale Subjekt (Weltgeist?). Im Gespräch formten sich Denkstile, die sachdienliche Hinweise auf ihre Absender zuließen, es ging um Fragen des gesellschaftlichen Miteinanders, um technische und prozessuale Aspekte der politischen Willensbildung oder auch um Kommunikation und Bildung (allg.). Die Art der Beiträge in den Plenarsitzungen und Arbeitsgruppen zeigte die Bereitschaft der Teilnehmer:innen, das eigene Spezialwissen nicht zur Demarkation wissenschaftlicher Verantwortungshorizonte einzusetzen. Vielmehr hatte die Mehrheit ein sichtliches Interesse an einem offenen Erfahrungsaustausch und grenzüberschreitenden Gesprächen. Leise und unausgesprochen die Einsicht, »das Andere« jeweils nicht ganz zu verstehen. Gerade das könnte für die Sache-an-sich erkenntnisleitend sein.

Vermeintlich fehlten hier all jene Menschen, die wir als »Nutzer:innen« unserer Ideen verstehen müssten. Waren doch all jene wahrscheinlich nicht anwesend, die ganz andere »Ideale« leben, jene eingeschlossen, denen Gesellschaft als Thema und Anliegen prinzipiell gleichgültig ist. Zivilisierte Gesellschaften können wissen, dass die Frage »guter Regierungskunst« theoretisch von einem Beobachtungspunkt aus zu beantworten ist, der das Gesellschaftsganze im Blick hat. Gerade als Wissenschaftler:innen müssen wir uns aber fragen, wie wir uns, als Beobachter:innen, je von dem Gegenstand entfernen könnten, dessen unlösbarer Teil wir sind. In den Gesprächen wurde immer wieder klar, dass wir nicht nur die aktiven oder aktivistischen Entwickler:innen sind, sondern immer auch passive Nutzer:innen jener Verhältnisse, an deren Erschaffung wir mitwirken. »Objektivität« oder »Unabhängigkeit« ist daher schon ein theoretisch nicht einlösbarer Anspruch und die mereologische Frage nach den Zusammenhängen von »Teil« und »Ganzem« bleibt evident. Expert:innen können in technischer Weise über Gesellschaft nachdenken, sie können abstrakte politische Grenzen und Zuständigkeiten formulieren, Strukturen und Institutionen modellieren — aber fundamental erscheint doch die Notwendigkeit, dass wir in diesem Prozess tatsächlich bei oder mit uns sind. Die Realisierung einer »gerechten Gesellschaft« hängt davon ab, wie es dem politischen Menschen gelingt, in den technisch organisierten Zwischenräumen in all seiner Komplexität ein Mensch zu bleiben. 

Aus meiner Sicht war es dann auch eine essentielle »Nebensächlichkeit« dieses Meetings, dass sich im respektvollen, wertschätzenden, interessierten und kultivierten Austausch das kristallisierte, um was es ging: »Gesellschaft im Werden«. Immer wieder neu bildeten sich Gesprächsrunden und thematische Formationen. Vor allem in den Pausen und den Zwischenräumen des Programmes entwickelten sich phantasievolle Gedanken und Ideen. Persönliche Sympathien, der Zufall, Netzwerkinteressen und natürlich fachliche Attraktoren waren dabei so produktive wie formbildende Kräfte. Der Austausch der Fakultäten und die gleichzeitige Alltäglichkeit der menschlichen Verhältnisse verschmolzen zu einer bereichernden Erfahrung. Keine noch so elegante, technisch vermittelte Interaktion (Kommunikation unter Nicht-Anwesenden) kann das leisten. Erst im unvermittelten Gespräch mit dem »Anderen« realisieren wir die eigenen Grenzen — in ihrer ganzen sinnlichen Vielfalt. 

So schien es dann am Ende der Veranstaltung umso unvorstellbarer, die Technik als dominierende oder gar verbleibende Mittlerin jener Verhältnisse einzusetzen, die uns Menschen zur Gesellschaft figurieren. Alle Modelle, all die ordnenden Vorschriften verstehe ich als vektorielle Kräfte mit abstrakten, skalaren Parametern. Mit ihnen können wir Modelle bauen und Theorien formen. Die »Gesellschaft im Werden« aber, das sind und bleiben wir Menschen. Alfred North Whitehead schrieb in Adventures of Ideas zur Bedeutung der wahrheitsgemäßen Beziehung des Scheins (Modell) zur Wirklichkeit (Realität). Um diesen bedeutenden Unterschied wach zu halten – so Whitehead – braucht die Zivilisation einer Gesellschaft die Tugenden der Wahrheit, der Schönheit, des Abenteuers und der Kunst. Das TUM Festival der Ideen 2023 hat diesen Gedanken auf beste Weise lebendig werden lassen.

»Das Schicksal des Menschen ist der Mensch.« 
                                 Bertolt Brecht
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